Bezahlkarte für Geflüchtete: Ein Instrument der Repression

Hamburg zieht Alleingang mit der Bezahlkarte für Geflüchtete durch. Im Herbst könnte sie ohne Auswertung in die bundesweite Social Card übergehen.

Jemand hält eine Bezahlkarte zwischen den Fingern

Taugt nicht fürs Sozialkaufhaus: Bezahlkarte Foto: Marcus Brandt/dpa

HAMBURG taz | Seit knapp einem Monat zahlt die Stadt Hamburg mittlerweile Asylbewerberleistungen über die sogenannte Social Card statt in bar aus. Offiziell soll das Bürokratie abbauen: Asyl­be­wer­be­r*in­nen müssen keine Zahlstellen mehr aufsuchen, die Behörden sparen Personal- und Verwaltungskosten. Jetzt dürfen Betroffene allerdings nur 50 Euro pro Monat in bar abheben, nicht online einkaufen oder Geld überweisen. Die Linken-Abeordnete Carola Ensslen spricht von „Repression“.

Politisch gab es gegen die Einführung der Social Card keinen Widerstand. Das lag daran, dass die Konzeption nur innerhalb der SPD-geführten Behörden für Soziales und Inneres lag. Damit eine politische Debatte entsteht, hätte in der Bürgerschaft ein Antrag auf eine Debatte gestellt werden müssen – was nicht passierte. Die Grünen, die zwar inhaltlich die Ausgestaltung kritisieren, wollten sich offenbar nicht gegen die SPD stellen, um die Koalition nicht zu gefährden.

Die Linksfraktion verzichtete ebenfalls auf einen Antrag. „Aus der Opposition heraus lässt sich ja unmittelbar mit parlamentarischen Anträgen nichts erreichen“, erklärt ihre fluchtpolitische Sprecherin Carola Ensslen. Sie stellte stattdessen mehrere Kleine Anfragen, damit werde sie auch weitermachen, kündigt sie an: „Wir werden weiter nachbohren.“

Außerdem haben die Behörden zunächst andere Dinge kommuniziert, als sie jetzt umsetzen. Die Stimmung zur Social Card sei im vergangenen Jahr eine ganz andere gewesen, sagt Ensslen. Auf eine Kleine Anfrage der Linken von August 2023 hat der Senat geantwortet, die Hamburger Bürgerschaft sei im Vorfeld nicht beteiligt worden, weil es sich lediglich um eine Testphase handele. Online-Einkäufe sollten nach den damaligen Plänen mit der Karte noch möglich sein.

Auch mit eigenem Konto

Das ist nun in der Praxis nicht der Fall. Anja Segert von der Hamburger Sozialbehörde begründet diese Entscheidung mit der im November getroffenen Vereinbarung der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler. Dort wurden Mindestanforderungen für die bundesweite Bezahlkarte festgelegt. Onlinekäufe und Überweisungen wurden darin ausgeschlossen.

Diese Vereinbarung gilt für das Pilotprojekt aber noch gar nicht – und widerspricht der Hamburger Umsetzung auch an diversen anderen Stellen. Beispielsweise müsste es laut Mindestanforderungen auch eine 24-Stunden-Hotline für Kar­ten­in­ha­be­r*in­nen geben, die Hamburg nicht eingerichtet hat.

Kritik hat sich vergangene Woche auch daran entzündet, dass die Stadt Leistungen auch dann weiter auf die Social Card auszahlen will, wenn Emp­fän­ge­r*in­nen bereits ein Konto eröffnet haben. Komplett verschwiegen hatte die Behörde diese Absicht im Vorfeld nicht. In der Ausschreibung vom August ist bei der Zielgruppe zwar immer von „Leistungsberechtigten ohne Girokonto“ die Rede.

In der Antwort auf die Linken-Anfrage im selben Monat schrieb der Senat allerdings, die Karte solle nur noch „in erster Linie“ für Menschen ohne eigenes Konto angeboten werden.

Mareike Engels, Grüne

„Es ist schon nicht die feine Art, gegen den entschiedenen Dissens des Koalitionspartners einen solchen Behördenvorgang durchzuziehen“

Der taz schrieb die Sozialbehörde im Februar, die Karte würde erst auf andere Leistungsempfänger ausgeweitet, wenn die Erfahrungen zeigen, dass sie „den tatsächlichen Bedarf der Leistungsberechtigten abdeckt“. Das stimmt nicht mehr: Die Evaluation des Pilotprojekts steht noch aus.

Dass dennoch auch Asyl­be­wer­be­r*in­nen mit eigenem Konto ihr Geld auf die Social Card bekommen sollen, macht Linke und Grüne wütend. „Es ist schon nicht die feine Art, gegen den entschiedenen Dissens des Koalitionspartners einen solchen Behördenvorgang durchzuziehen“, sagt Mareike Engels, Sprecherin für Soziales der Grünen-Fraktion Hamburg der taz. „Die Einführung der Social Card ist schließlich keine Kleinigkeit.“ Ensslen spricht von einer „völlig undemokratischen“ Entscheidung „im stillen Kämmerlein“.

Nicht nur mit dieser Entscheidung haben die Behörden die angekündigte Auswertung übersprungen. „Nach Evaluation dieser Pilotierung ist geplant, Senat und Bürgerschaft zu informieren und eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob diese Bezahlart in der FHH angeboten werden soll“, schrieb der Senat vergangenen August noch auf die Frage, wie die Bürgerschaft beteiligt werden wird.

Trotzdem beteiligt sich Hamburg jetzt schon als eines von 14 Bundesländern am Vergabeverfahren für die bundesweite Social Card. Die Entscheidung soll im Herbst fallen, also ebenfalls vor der Auswertung des Hamburger Pilotprojekts. „Ich habe Zweifel, dass es überhaupt eine Evaluation geben wird“, sagt Ensslen.

Die Daten, die evaluiert werden, sind vornehmlich technisch-administrativ: Beschwerden würden in „einer Tabelle mit einer Kurzbewertung ausgewertet“, schreibt Segert von der Sozialbehörde. Es sei ein Beschwerdepostfach eingerichtet worden, wo „Anregungen zur Social Card“ gesammelt würden.

Initiativen wollen klagen

Davon, dass die Auswertung zu einer Abschaffung der Social Card führen könnte, ist keine Rede mehr. Die Ergebnisse sollten lediglich in das bundesweite Verfahren eingebracht werden, schreibt die Sozialbehörde.

Inzwischen planten Initiativen mithilfe von Pro Asyl Klagen gegen die Bargeldbeschränkung, sagt Ensslen. Unabhängig davon, ob die Beschränkung als solche rechtswidrig ist, wirkt auch die Berechnung des Bedarfs willkürlich: Die Sozialbehörde erklärt, sie habe sich an der Berechnung des Bargeldbedarfs von Menschen in stationären Einrichtungen orientiert. Dieser beträgt etwa 150 Euro, was 27 Prozent des Regelbedarfs entspricht.

Statt die 150 Euro als Bargeldbedarf auch für Asyl­be­wer­be­r*in­nen anzunehmen, hat die Verwaltung die 27 Prozent genommen und auf die Leistung für Asyl­be­wer­be­r*in­nen von 185 Euro im Monat übertragen. Heraus kommt ein angeblicher Bedarf von knapp 50 Euro. Abgesehen von dieser Berechnung hat die Behörde nach eigener Aussage nichts unternommen, um den tatsächlichen Bedarf an Bargeld zu ermitteln.

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