HipHop-Ausstellung in Frankfurt: So progressiv, das alte Königreich

Die Frankfurter Schirn Kunsthalle feiert in der Ausstellung „The Culture“ HipHop-Musik als Antrieb für die Künste – und bleibt in den USA haften.

Foto von einem geöffneten Mund, die Zähne sind mit Gold und Edelsteinen besetzt

Brillierende Gerätschaft im Mund: „Black Power“ von Hank Willis Thomas, 2006 Foto: Barret Barrera Projects, © Hank Willis Thomas

Zwei Männer, Typ Gangster-Rapper, auf einem Sofa: tätowiert, mit nacktem Oberkörper und reichlich Gold behängt. Während einer den Zeigefinger auf die Be­trach­te­r:in richtet, trägt der andere eine furchteinflößende Gerätschaft im Mund, auch diese vergoldet. Der Wandtext zu dieser Arbeit von Deana Lawson spricht von einem Wangenspreizer, wie er beim Zahnarzt zu Einsatz kommt. Doch eigentlich sieht das Ding nach Foltergerät aus, das zudem Sprechen unmöglich macht – wo Sprache doch ein zentrales Element des HipHop ist, ob nun im Rap oder beim Graffiti-Writing.

Die Kultur des HipHop zu beleuchten, ist der Anspruch einer Ausstellung in der Frankfurter Schirn Kunsthalle. Kuratiert wurde sie in St. Louis und Baltimore, USA. In „The Culture“, so der Titel der Schau, geht es weniger darum, fünf Jahrzehnte HipHop-Geschichte abzubilden, als zu zeigen, wie Musik einen eigenen Kanon in der bildenden Kunst hervorbringen konnte.

Alle hier ausgestellten Kunstwerke sind seit den Nullern entstanden, seit nämlich aus der einstigen Subkultur ein globales Phänomen geworden war – mit Ausnahme von Jean-Michel Basquiats „Lester Yellow“ von 1987, ein Tribut an den Saxofonisten Lester Young. Der mit 27 Jahren in New York gestorbene Basquait war der erste Schwarze, dem in der weiß dominierten Kunstwelt der Durchbruch gelang; neben der von Keith Haring nahm seine Kunst eine Scharnierfunktion zwischen Street Art und dem Kunstbetrieb ein.

Dass HipHop längst ein Mega-Business ist, wird zwar in dieser Ausstellung nicht negiert, aber weitgehend ausgeblendet; wenn, dann wird Fixierung auf Materielles in den Arbeiten eher affirmativ abgefeiert, Aneignung von Luxus als progressiver Akt gedeutet.

Das Gebiss von George Washington

Doch zurück zu Lawsons fast lebensgroßer Arbeit. Oben in die Ecke gequetscht, findet sich ein kleines Foto des Gebisses von George Washington, dem ersten US-Präsidenten. Anders als gerne behauptet, war das nicht aus Holz, sondern aus Golddraht, Elfenbein und den Zähnen versklavter Menschen. Das Ganze trägt den Titel „Nation“ – ein Kommentar, der in seiner Drastik unter den Exponaten heraussticht.

Und aus dem doch durch den Wandtext wieder etwas Luft herausgelassen wird: „In dem vielen Gold, das getragen wird und wie es im HipHop verwendet wird“, so die Künstlerin, „steckt etwas Nobles und Majestätisches. Ich denke, dass HipHop tatsächlich alte Königreiche heraufbeschwört.“ Echt jetzt? Das klingt doch nach einem verkitschten Runterkochen recht komplexer Dynamiken.

„HipHop didn’t invent anything, but it reinvented everything“, so zitierte Schirn-Kurator Matthias Ulrich Grandmaster Caz, Rapper und DJ der ersten Stunde. Daran hat sich bis heute wenig geändert, doch eine Rekontextualisierung von Bestehendem erzeugt Reibung. Davon kommt in der gut besuchten Ausstellung, die sich offenbar auch für Schulausflüge anbietet, wenig an – auch wenn sie bunt, laut und oft scheinbar konfrontativ daherkommt.

Gemälde von Tschabalala Self mit Poster von HipHop-Star Lil' Kim und einer Figur, die gleiche Mode trägt wie HipHop-Star

Auch Lil' Kim ist dabei: Tschabalala Self: „Seta's Room 1996“, 2022 Foto: Courtesy der Künstlerin und Pilar Corris, London, © Tschabalala Self

Durchaus begrüßenswert ist, dass die Wandtexte ausführliche Erläuterungen bieten. Ohne sie bliebe der Kontext vieler Exponate rätselhaft. Dass fast jedes als kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, Gender- oder Identitätsdiskursen gedeutet wird, ist etlichen der Arbeiten allerdings nicht immer anzusehen. Der an Ambivalenzen reichen Kultur von HipHop wird es nicht gerecht, so glattgebürstet zu werden.

Zoom auf Compton, Los Angeles

Erfreulich, dass sich manche Verankerung auch intuitiv erschließt. Etwa beim 15-minütigen Zweikanal-Video „m.A.A.d.“ des Filmemachers Kahlil Joseph. Der hat wunderbar immersive Impressionen aus dem Alltag in Compton eingefangen, dem Vorort von Los Angeles, der in den Neunzigerjahren als Gang-Terrain und Wiege des Gangsta-Rap galt.

„The Culture“: Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, bis 26. Mai

Aber eben auch Heimat des Rap-Messias Kendrick Lamar ist, der spätestens mit seinem zweiten Album „Good Kid, M.A.A.D. City“ (2012) zum sozialen Gewissen des Genres wurde. Von diesem Album stammt auch der Soundtrack zu den mal abgründigen, oft poetischen Alltagsbildern, die Joseph auf magisch-realistische Weise verdichtet.

Da die Ausstellung, ohne größere inhaltliche Veränderung aus den USA übernommen wurde, findet die hiesige Kultur, die HipHop hervorgebracht hat, ausschließlich im Rahmenprogramm der Schirn statt. Den urbanen Ursprüngen des HipHop entsprechend, ragt das in den Stadtraum hinein. Im Kunstverein Familie Montez projiziert Stan Douglas mit seiner Videoarbeit „ISDN“ einen HipHop-Battle auf die Wände. Im MOMEM, dem Museum Of Modern Electronic Music, etwa lässt sich erfahren, welche Tracks hiesige Szenegrößen von Murat Güngör und Materia über Torch bis Sabrina Setlur prägte.

Aus ihren häufigsten Nennungen sind 20 sogenannte Milestones destilliert, die sich vermutlich jenseits des Atlantiks ähnlich lesen würden: „Planet Rock“ von Afrika Bambaataa & The Soul Sonic Force ist da zu finden, Missy Elliotts „Get Ur Freak On“ und Public Enemys „Rebel Without A Pause“. Einzige deutsche Nennung stammt von der Frankfurter Crew Konkret Finn und gilt bezeichnenderweise als Startschuss für den deutschen Battle Rap: „Ich Diss Dich“ von 1994.

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