Postmigrantische Kunstgeschichte der DDR: Völkerfreundschaft und Propaganda

In Berlin will die Ausstellung „Echos der Bruderländer“ künstlerisch die Auslandsbeziehungen der DDR vermitteln. Das gelingt nur mit Anstrengung.

Vor einem Vorhang stehen zwei Stühle um einen Tisch, auf dem sich ein Brunnen aus Porzellan befindet

Die Installation „Fountains of a high mountain and a sweet dream“ von Minh Duc Pham Foto: Hannes Wiedemann/HKW

Welche Rolle spielten Mi­gran­t:in­nen für die (Außen-)Politik, Wirtschaft und im Sozialleben der DDR, und was war DDR-Bürger:innen über ihre Lebensverhältnisse bekannt? Wie viel davon war gelebte Völkerfreundschaft und wie viel Propaganda? Wurde DDR-Geschichte ausgelöscht, gab es eine Amnesie durch BRD-zentrierte Perspektiven?

Solche und viele weitere Fragen stellt die Ausstellung „Echos der Bruderländer“, die seit Anfang März im Haus der Kulturen der Welt zu sehen ist. Die DDR pflegte rege Beziehungen zu ihren sogenannten sozialistischen Bruderländern, darunter Algerien, Angola, Kuba und Vietnam. Zwischen 1949 und 1990 migrierten Hunderttausende Menschen in die DDR als Arbeiter:innen, Auszubildende oder Studierende. Sie machten 1989 1,2 Prozent der Bevölkerung aus. Einige von ihnen blieben. Sie prägen Deutschland bis heute.

An den künstlerischen Positionen der Ausstellung werden Erlebnisse sichtbar, die die Mi­gran­t:in­nen über Generationen hinweg und bis heute prägen. Seismografisch für traumatische Erfahrungen steht eine Kunst- und Klanginstallation des Künstlers Minh Duc Pham, Sohn ehemaliger vietnamesischer Ver­trags­ar­bei­te­r:in­nen aus dem Erzgebirge.

Er hat einen Porzellanbrunnen aufgestellt, der wie ein Schrein wirkt und Lilienduft versprüht. Am Brunnen sitzend lauschen wir einem intimen Gespräch zwischen dem Künstler und seinem Bruder, der nicht zur Welt kommen durfte, dessen Namen der Künstler als Erstgeborener heute trägt.

Erzwungene Abtreibungen

Hintergrund der Arbeit sind die vielen erzwungenen Schwangerschaftsabbrüche der Vertragsarbeiterinnen in der DDR, denn andernfalls – so war es vertraglich festgelegt – mussten sie sofort in ihre Heimatländer zurückkehren und damit oft in Schande und Armut.

„Echos der Bruderländer“: HKW, Berlin, bis 20. Mai

„Echos der Bruderländer“ präsentiert eine große, dreiteilige Ausstellung und ein Begleitprogramm, das kaum vielfältiger sein könnte – mit Führungen, Workshops, Lesungen, Performances und einem Podcast sowie einem Handbuch und einem Reader.

Die differenzierte Aufarbeitung dieses Teils der DDR-Geschichte ist notwendig aus mehreren Gründen. Der zeitliche Abstand erst macht es möglich, die Kulturprodukte aus den sozialistischen Ländern weder als bloße Propaganda abzutun noch zu verklären.

Gleichzeitig ist eine neue Generation seit der alten Ost-West-Teilung herangewachsen, die nun selbst zu Wort kommt; darunter die Kinder der ehemaligen Ver­trags­ar­bei­te­r:in­nen wie Minh Duc Pham. Und nicht zuletzt ist es die gesellschaftspolitische Lage, die das Thema dringlich macht, notwendiger denn je erscheint es, hinter aktuelle kulturelle und politische Verwerfungen im Spannungsfeld zwischen Ost und West zu schauen.

Der Intendant und Chefkurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung schreibt im Ausstellungstext: „Rassismus und Antisemitismus wurden nicht in der DDR erfunden und waren in der BRD weit verbreitet. Aber um das historische Anwachsen von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in den Gebieten der DDR und den strukturellen Rassismus im heutigen Deutschland insgesamt zu verstehen, müsste man sich auf eine radikale Aufarbeitung der DDR-Geschichte einlassen.“

Umfangreiche Recherchen

Die Ausstellung im HKW ist die dritte zum Thema (post-)migrantischer Kunstgeschichte der DDR nach einer Schau im Museum der bildenden Künste in Leipzig und der noch laufenden Ausstellung im Albertinum in Dresden. Allen drei Ausstellungsprojekten gehen lange, teils jahrelange Forschungen und Recherchen voraus und alle drei Häuser bieten umfangreiche Begleitprogramme an. Das HKW dient mit seinem Programm allen Interessierten, aber vor allem auch Akteur:innen, Zeit­zeu­g:­in­nen und Betroffenen als Forum und Wissensarchiv.

Dieses Wissen entblättert sich aber nicht von allein beim Gang durch die Ausstellung, sondern muss in Texten und Veranstaltungen erkundet werden. Die Ausstellung kommt wieder ohne Wandtexte aus, was Bonaventure mit dem „Level der Reduktion“ begründet, die Wandtexte auf Werke ausüben. Das mag theoretisch stimmen, aber praktisch lenkt der Blick ins Handbuch mehr vom Werk, als es ein Wandtext getan hätte.

Der Reader zur Ausstellung hingegen hat einen eigenen Stellenwert. Hierin wurden elf Essays und Interviews veröffentlicht, die konkrete Einblicke in Lebensläufe und Ereignisse von Mi­gran­t:in­nen sowie weiteren politischen Ak­teu­r:in­nen in der DDR geben. Zusammenfassend ist die Ausstellung „Echos der Bruderländer“ sehr herausfordernd und wird nur für die wirklich verständlich, die nachfragen oder keine Scheu vor Büchern haben.

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