Thalia-Intendant Lux über Sparzwänge: "Das verbittert auf die Dauer"

Das Hamburger Thalia Theater kämpft mit dem Deutschen Schauspielhaus gegen die dortigen Kürzungen. Ein Gegensatzpaar - hier Bürgertum, dort Avantgarde - bilden beide Häuser längst nicht mehr, sagt Thalia-Intendant Joachim Lux.

Zeigt sich solidarisch mit den Kollegen: Thalia-Intendant Joachim Lux. Bild: dpa

taz: Herr Lux, zwei Millionen Euro mehr als Sie bekommt jedes Jahr das Deutsche Schauspielhaus. Wieso solidarisieren Sie sich mit seinem Protest gegen die Kürzungen?

Joachim Lux: Weil solche Vergleiche jetzt irrelevant sind. Das Schauspielhaus befindet sich aufgrund der Sparvorschläge des schwarz-grünen Hamburger Senats in einer Notsituation. Es muss vom kommenden Sommer an - also ab sofort - 1,2 Millionen Euro einsparen, und zwar zusätzlich zu der bereits erfolgten Kürzung von 330.000 Euro. Schon dies war ein schmerzhafter Eingriff, unter dessen Folgen das ebenfalls betroffene Thalia Theater immer noch leidet. Mehr ist nicht zu leisten, und deshalb ist die vom Schauspielhaus angekündigte Insolvenz zum Sommer 2011 vermutlich eine realistische Perspektive. Kürzungsmaßnahmen in dieser Höhe, quasi ad hoc verordnet, sind faktisch nicht umsetzbar - oder nur dann, wenn man den Betrieb aufs Skelett herunterfährt. Man kann am Theater schlicht nicht kurzfristig sparen, weil es viele Fixkosten und auch Tarifverträge gibt.

Im Prinzip ist die Sparforderung also nicht überzogen?

Wenn das Thalia so viel oder auch nur halb so viel sparen müsste, gingen bei uns die Lichter aus. Ob und wie viel am Schauspielhaus langfristig gespart werden kann, lässt sich von außen schwer beurteilen. Aber selbst wenn es Sparpotenziale geben sollte, kann das nur als Prozess über mehrere Jahre funktionieren. Und hier liegt ja gerade der Vorwurf an die Politik: dass sie eine Kürzung dekretiert, ohne geprüft zu haben, was nach menschlichem Ermessen möglich sein könnte.

Und dagegen protestieren Sie nun gemeinsam.

Ja. Wobei mein Engagement nicht nur dem Schauspielhaus, sondern der Kultur in Hamburg insgesamt gilt. Die muss man stärken, anstatt sie zu schwächen. Das hat auch mit Geld zu tun, aber nicht nur. Es hat auch mit der Bevölkerung zu tun. Wenn die vor Museen, Theatern oder Bücherhallen Schlange steht, ist es für die Politik viel schwerer, diese Institutionen zur Disposition zu stellen. Und auch die Kulturschaffenden müssen etwas tun: Deshalb haben wir uns vor einem Jahr für das Gängeviertel engagiert. Deshalb habe ich unlängst alle Hamburger Kulturinstitutionen ins Thalia eingeladen. Aber auch die Politik muss ihren Part spielen. Wenn täglich neue, nicht zu Ende gedachte Überlegungen der Politiker in der Zeitung stehen, schafft das kein Vertrauen. Deshalb meine ich, dass die Diskussion jetzt auf eine sachliche Basis gestellt werden muss - und dann kann man gemeinsam überlegen, wo man wie viel sparen kann.

der 52-jährige Germanist und Historiker ist seit Herbst 2009 Intendant des Thalia Theaters in Hamburg. Zuvor war er Chefdramaturg am Wiener Burgtheater.

Grundsätzlich ist es aber in Ordnung, dass das Schauspielhaus mehr Geld bekommt als das Thalia?

Das muss man differenziert betrachten: Da, wo aufgrund der Größe des Schauspielhauses und anderer Arbeitsstrukturen der Aufwand höher ist: ja. Da hingegen, wo es heißt, das Schauspielhaus brauche mehr Zuwendungen als das Thalia, weil es zwei Millionen Euro weniger einnehme: nein. Vermutlich muss sich das Schauspielhaus langfristig überlegen, wie es seine Einnahmen steigern kann. Aber auch das geht nicht von heute auf morgen. Eins ist allerdings klar: Theater haben nicht nur einen kulturellen, sondern auch einen sozialen Auftrag. Weitere Preiserhöhungen sind deshalb über viele Jahre ausgeschlossen. Schauspielhaus und Thalia Theater haben jetzt schon die mit Abstand höchsten Kartenpreise im deutschsprachigen Raum.

Dann spielt man eben mehr Publikumsrenner.

Das kann und muss man natürlich auch machen. Aber der inhaltliche Auftrag beider Häuser ist dennoch, anspruchsvolles Theater mit einem eigenen Ensemble und renommierten Regisseuren zu bieten. Das war bisher der gesellschaftliche Grundkonsens. Wenn es den in Hamburg nicht mehr geben soll, muss man das offen sagen. Solange er aber noch gilt, muss man sich dessen bewusst sein, dass man Hochkultur will. Und die ist - anders als Musicals - nicht massenkompatibel.

Die unterschiedlichen Subventionen wurden stets so erklärt: Das Thalia sei bürgerlich, das Schauspielhaus Avantgarde.

Ich kann mit diesen Begrifflichkeiten nicht mehr viel anfangen. In den besten Zeiten gab es zwischen beiden Theatern eine fruchtbare Konkurrenz. Das Thalia hat Bob Wilson "erfunden", das Schauspielhaus Christoph Marthaler - beides Avantgarde, wenn man so will. Gleichzeitig gab es immer wieder Klassikeraufführungen, die man auch im jeweils anderen Haus spielen könnte. Die Unterschiede sind seit Jahrzehnten verwischt. Das Profil der Theater changierte immer wieder heftig.

Gibt es Schauspielhaus-Produktionen, die Sie nie spielen würden?

Durchaus. Am Schauspielhaus gab es mehrere Inszenierungen von Volker Lösch, der politisches Theater mit Laienchören macht, die eine für alle verständliche Botschaft transportieren. Ich respektiere das, würde mich aber davon abgrenzen. Grundsätzlich lässt sich der Unterschied vielleicht so fassen: Am Thalia geht es um die ästhetische Gestaltung der Welt durch Literatur. Am Schauspielhaus herrscht ein stärker der Unmittelbarkeit von Realität verpflichtetes Denken.

Apropos Realität: Was erwarten Sie jetzt von der Hamburger Politik?

Ein Moratorium, wie es auch bei Stuttgart 21 von Heiner Geißler angestrebt wird. Man muss die Sparbeschlüsse noch einmal zur Diskussion stellen dürfen. Der zerstörte Konsens in Bezug auf die Kulturstadt Hamburg muss wieder hergestellt werden. Das kann aber nur gelingen, wenn man hinter verschlossenen Türen miteinander spricht, anstatt öffentlich aufeinander einzudreschen. Und die Politik muss bitte auch berücksichtigen, dass alle großen Kulturinstitutionen während der letzten Jahrzehnte riesige Sparleistungen erbracht haben. Wenn man dann aber nur hört: "Ihr müsst jetzt aber auch mal einen Beitrag leisten", dann verbittert das auf die Dauer.

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